Die Spieleindustrie muss erwachsen werden

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Der Titel mag jetzt erstmal sehr reißerisch klingen, doch steckt eine gewisse Wahrheit dahinter. Gamer und Industrie haben an sich den Anspruch von der breiten Masse akzeptiert zu werden und nicht als Kellerkinder abgetan zu werden. Doch warum legen sie sich dann selbst Steine in den Weg?

von Sebastian Marino

Köln im August, tausende Menschen strömen in die Hallen, überall Stände und bunte Lichter, es ist Gamescom. Zwischen den ganzen Besuchern und Ausstellern tummeln sich ohne Ende Hostessen. An sich kein großes Ding, Hostessen auf Messen sind jetzt nichts außergewöhnliches, zumindest solange sie genug anhaben. Auf der Gamescom jedoch, laufen so viele Hostessen in knappen Röcken und im Cosplay herum, man möchte meinen man wäre auf der Venus. Natürlich will man als Aussteller seine Spielecharaktere präsentieren, doch warum müssen es immer weibliche Figuren sein, deren “Rüstung” vielleicht gerade mal einem Windstoß standhalten kann. Auch am Stand der Panzerspiele tanzen sie lasziv in Camouflage zu viel zu lauter Musik. Das Problem dabei ist, dass es genug Besucher jeden Alters gibt, die den Damen hinterherrennen, als wäre es ein Wettbewerb, die meisten Fotos mit ihnen zu machen. Sei ehrlich, warum hast du auf den Artikel geklickt, wegen dem Titel oder wegen dem Bild? Für die Aussteller funktioniert diese Masche, aber zu welchem Preis?

Das öffentliche Bild des gemeinen Gamers ist das des schüchternen, unrasierten Nerds, der den ganzen Tag im Keller vorm Rechner hockt und nur zu Weihnachten und Ostern duscht. Vom Kontakt zu Frauen ganz zu schweigen. Es gab bereits genug Fernsehbeiträge, die diese Annahme bestätigen. Es wird sich derjenige zum Interview herausgepickt, der genau diesem Klischee entspricht, um so Meinung zu bilden. Doch das Bild täuscht, immerhin sind fast die Hälfte der Videospieler weiblich und im Durchschnitt 31 Jahre alt (http://www.theesa.com/facts/pdfs/ESA_EF_2014.pdf). Dabei ist es egal, ob nun die sogenannten “Core-” oder “Casual-Games” gespielt werden, das was den Spieler verbindet, ist die Liebe zum Spielen.

Stand: Microsoft – FORZA Horizon 2, Halle 6

Der Durchschnittszocker: 31 Jahre Alt und zu 48% weiblich

Doch auch innerhalb der Industrie muss es ein Umdenken geben. Alleine wenn man sich Stellenangebote ansieht, sieht man, wieviel noch zu tun ist. “Werde Gamedesign Held” und ähnliche Titel sieht man auf ihnen, das Berufsfeld des Gamedesigners wird einfach geändert, er soll auf einmal neue Ideen kriegen, anstatt diese in Regeln zu fassen und daraus ein Konzept zu entwickeln. Als Vorzüge werden die kostenlose Nutzung von WLAN, die Annahme von Paketen oder die Nähe zu einem Bäcker genannt, also Dinge die ich eigentlich als Standard wahrnehme, beziehungsweise durch die geographische Lage gegeben sind. Was soll noch angepriesen werden, die Bereitstellung eines Stuhls oder die kostenlose Nutzung der Toilette?

Leider durfte ich so einen Reinfall schon selbst miterleben. Auf der Veranstaltung “Making Games Talents” bin ich mit einigen Spielestudios in Kontakt gekommen und wurde auch zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Während bei dem Event noch groß verkündet wurde, dass Fahrtkosten dafür erstattet werden, wurde ich bei einem Telefonat darauf hingewiesen, dass diese nun doch nicht erstattet werden können. Und die Kosten für Hin- und Rückfahrt für eine Strecke von über 300km sind nicht trivial. Wenn es nicht mit einer Anstellung klappt, hat man nicht nur einen Tag, sondern auch eine ganze Stange Geld verloren. Da kann man nur hoffen, dass es sich bei dieser Firma nur um eine schwarzes Schaf handelt, doch das ist eigentlich schon zuviel. Wir wollen in einer Industrie arbeiten, die ernst genommen und anerkannt wird, aber auch man selbst, als Mitarbeiter, will natürlich nicht lieblos abgespeist oder ausgenutzt werden. Zum Glück gibt es schon einige Spielefirmen, die wirklich vorbildlich in dieser Hinsicht sind.

Für viele von uns sind Spiele eine Kunstform, sie sind das einzige Medium, welches nicht nur Geschichten erzählt, sondern in denen man selbst aktiv teilhaben kann, kein anderes bietet solche Interaktionsmöglichkeiten. Also wird es Zeit erwachsener zu werden und der breiten Masse und ihren Medien zu zeigen, dass Spiele nicht nur für Sonderlinge gemacht werden und sogenannte “Killerspiele” keine Amokläufer ausbilden. In den USA werden Spiele bereits seit 2011 staatlich als Kunstform anerkannt (http://www.escapistmagazine.com/news/view/109835-Games-Now-Legally-Considered-an-Art-Form-in-the-USA), ausgerechnet in dem Land, in dem Pizza als Gemüse in Schulmensen gilt. Warum also nicht bei uns in Deutschland? Die Antwort ist leicht philosophischer Natur. Bisher wurde jedes neue Medium, sei es Radio, Fernsehen oder Internet, verteufelt. Sie waren angeblich an rebellischen Teenagern und Kleinverbrechern Schuld. Dabei ist es seit Jahrhunderten so, dass sich jede Generation von der vorherigen abgrenzen möchte, schon Sokrates hat sich über das Verhalten der jungen Generation beschwert. Für dieses Verhalten möchte jedoch ein Grund gefunden werden und der ist im Falle unserer Generation das Videospiel. Es gibt ein paar Politiker, die sich für das Spiel als Kunst einsetzen, doch solange weiter Meinungsmache der Massenmedien betrieben wird, haben Computerspiele noch einen langen Weg vor sich.

Deswegen sollten wir als einzelne voran gehen, um unser Hobby und unsere Arbeit einmal aus anderen Augen zu betrachten und versuchen Skeptikern dieses Medium ein wenig näher zu bringen. Wer weiß, vielleicht erwischt man ja gerade jemanden, der den ersten Dominostein umwirft?

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Sebastian Marino - AuthorÜber den Autor:
Sebastian Marino hat Game Programming an der SAE München studiert und ist dort als Dozent tätig. Mittlerweile ist er als Webentwickler in der Industrie unterwegs.

 

Fotos: Koelnmesse / Bilddatenbank: gamescom

 

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