John Cassavetes’ Einfluss auf modernes Filmemachen

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In den 60ern und 70ern betrieb der unabhängige Filmemacher John Cassavetes Filmkunst in einer Art, die auch heute noch bedeutsam ist.  Dieser Artikel basiert auf der Doktorarbeit von Dr. Ian Dixon

Text: von Ian Dixon; Fotos: Krystal Seigerman

Seine eigenwillige Vision von Schauspiel war bahnbrechend. Dieser Artikel wird einige von Cassavetes Innovationen zeigen und diese dann mit Bezug auf meinen eignen Film „Crushed„ (2009) beleuchten.
Cassavetes verlieh Filmen wie „Shadows“ (1960) und „A Woman under the Influence“ performerische Exzellenz. Obwohl er eine Figur aus unserer Vergangenheit ist, dient sein einmaliger Fokus auf die Authentizität einer Darbietung immernoch als hervorragendes Beispiel für moderne Filmemacher. Der Grad an improvisatorischen und kinästhetischen Aspekten (die Fähigkeit „durch Sensation zu bewegen“) in Cassavetes einzigartigen Filmen wurde selten erreicht, selbst heute (Dowd, 2006).

Ian Dixon is a  professional screen- writer, director and actor working in the Australian film and  television industry.  He has been funded by Film Victoria and Screen Australia and worked on most Melbourne-based  Television programs.

Ian Dixon is a
professional screen-
writer, director and actor working in the Australian film and
television industry.
He has been funded by Film Victoria and Screen Australia and worked on most Melbourne-based
Television programs.

Cassavetes ignorierte mit seinem Sturm von Bildern klassische Form-, Fokus- und Achsensprungregeln. Sattdessen stützte er sich auf Cinéma-Vérité-Konventionen, um die makelbehaftete Schönheit des menschlichen Gesichtes zu zeigen. In seinen Filmen könnte ein dramatischer Schlag die umgekehrte Betonung des Vorangegangenen sein. Diese Technik des „Flippens„ half ihm, das Element der Überraschung in seinen Filmen auszuschöpfen (Carney, 2001, S. 160). Dass er wie berichtet wird, während der Drehs improvisiert hätte, ist zweifellos unwahr. Er überarbeitete und passte seinMaterial vor dem Dreh stets minutiös an (Martin, 2005). Nichtsdestotrotz beruhte seine Filmemacherei stark auf Improvisation und Experiment.

Cassavetes Herangehensweise an Schauspiel entwickelte sich durch frühe Einflüsse an der American Academy of Dramatic Arts, hauptsächlich durch Übungen nach Stanislavski. Er bestand daher darauf, dass mechanisches Schauspiel den Schauspieler zu einer „überdrehten Maschine“ machte (Stanislavski, 1980, S. 71). Darum entwickelte er eine lebenslange Hingabe für Authentizität, Zuhören und Antworten.

Georgina Capper (Nathalia) & Miranda Nation (Audrey)

Georgina Capper (Nathalia) & Miranda Nation (Audrey)

Die Hauptelemente von Cassavetes Acting waren Hingabe zum Realismus, Autentizität und die Vermeidung von „indikativen“ Schauspieleigenschaften (Carney, 2011). Schauspiel von so roher Ehrlichkeit ist verstörend real, auch nach modernen Standards. Und trotz seines Starstatus als Schauspieler (inkl. The Dirty Dozen, 1967 und Rosemary’s Baby, 1968), erschuf Cassavetes seine größten Arbeiten ohne finanzielle Hilfe der Hollywood-Industrie. Ihm wurde äußerst bewusst wie ein nicht denkender Regisseur „den Akteur unterbewusst verschüchtern könnte“ (Carney, 2011, S. 157).

Somit beeinflusste Cassavetes Arbeit als Schauspieler direkt sein Filmemachen. Er benutzte die Kamera nicht nur als Kiste zum Bilderaufnehmen, sondern als kinästhetisches Gerät. Dies beinhaltete seine eigenen Drehungen während der Bedienung der Kamera – mit welchen er effektvoll den Blickwinkel des Akteurs imitierte (Carney, 1994). Manchmal überließ er die Kamera auch den anderen Schauspielern. Cassavetes Kamera kommunizierte über seine eigene kinästhetische Präsenz und seine physikalische Beziehung zu den Akteuren, um eineräumliche Metapher für die emotionale Distanz zwischen den Charakteren zu kreieren. Für Cassavetes war dieses Zartgefühl wichtiger als die praktischen Angelegenheiten des Filmens.

Hierauf basierend implementierte ich Cassavetes Herangehensweise in meinen eigenen Film Crushed. Die vielleicht befriedigendste Szene des Shoots war Szene 71, in der die Heldin, Nathalia (Georgina Capper), ihre traumatisierte Studentin Audrey (Miranda Nation), tröstet (s. Abb. 2 & 3). In dieser Szene trug das Cassavetes-Überraschungsmoment zur Authentizität auf der Leinwand bei. Beim Dreh von Crushed wusste keiner der Akteure (außer Miranda), dass Audreys Motivation auf ihrer Liebe zu Nathalia beruhte. Diese wurden daher durch die Entdeckung dieses unbemerkten Motivationsfaktors überrascht.

Szene 71 war die thematische Umkehrung der vorigen, in der alle Charaktere auf der Ebene des äußeren Konflikts interagierten. Nun begegnete Audrey Nathalia auf einer inneren Ebene. Mit Etablierung dieses Kontrastes ahmte ich Cassavettes Verwendung unerwarteter Möglichkeiten nach. In Cassavettes Sinn konnten meine Charaktere den Rhythmus des Dramas nun eher „außerszenisch“ als formelhaft begleiten (Carney, 2001, S. 152). Deshalb bat ich, wie es auch Cassavetes getan hatte, Schauspieler und Crew auf alles vorbereitet zu sein (Carney, 2001). Dementsprechend wurde Miranda instruiert ihren Impulsen zu folgen und weiter zu machen, egal was Georgina auch tun würde.

Miranda Nation as Audrey in Crushed

Miranda Nation as Audrey in Crushed

Wie Cassavetes mussten auch wir auf Beleuchtung und Angelschatten achten. Außerdem bereitete ich Kameramann David Hawkins auf sprunghafte Bewegungen vor (s. Abb. 4). Nachdem ich die wachsende kinästhetische Beziehung von David und Georgina wochenlang beobachtet hatte, entschloss ich mich, nicht selbst Kamera zu führen. David war technisch erfahren und offensichtlich gewandt genug, um die Improvisation zu filmen. So wie Cassavetes aus Akteuren Kameraleute machte, machte ich aus meinem Kameramann einen Akteur.

Das Experiment verlief erfolgreich. Als sich die Improviasa-tion entwickelte, sprach Georgina ausgezeichnet darauf an und bewahrte ihre physische Frontalität gegenüber der Kamera (Bordwell, 1986), während David beide Akteure im Bild behielt. Die Schwierigkeit für das Continuity Department war es natürlich, die Plausibilität für die Gegenperspektive beizubehalten. Für den Überschulter-Gegenschuss musste Georgina nicht versuchen die Überraschtheit ihrer authentischen Performance zu kopieren. Sie musste nur ihre improvisierten Zeilen und Körperpositionen wiederholen, um Mirandas Blickwinkel zu vermitteln. Ein Großteil dieser Improvisation wurde im finalen Schnitt beibehalten und schaffte es, das gespannte Kinopublikum kinästhetisch mit einzubeziehen. Das Zusammenspiel von Geschichte, aktivem Charakter und Kameraarbeit war für Schauspieler und Publikum ein einmaliges Erlebnis.

Damian Walshe-Howling as Jason in Crushed

Damian Walshe-Howling as Jason in Crushed

Obwohl ich nie versuchte Cassavetes zu imitieren, machte seine radikale Methodik Crushed zu einem einzigartigen modernen Film. Dadurch habe ich den zeitlosen Wert starker, unmittelbarer Performances entdeckt – wie sie Cassavetes lebendiger Beitrag zur Filmkunst waren. Sowohl Kamera als auch Schauspieler wurden Elemente des Stils und der Bedeutung des Films. Dafür bin ich Cassavetes zu Dank verpflichtet und halte junge Filmemacher dazu an, seine Arbeiten zu studieren und zu entdecken wie interaktive Kamera und Authentizität Originalität in ihre Filme bringen können – sowohl performancetechnisch als auch stilistisch.

Referenz Liste

Bordwell, D., & Thompson,
K. (1986). Film art: An introduction (2nd ed).
New York: Alfred A. Knopf.
Carney, R. (1994). The films of John Cassavetes:
Pragmatism, modernism and the movies.
United States of America: Cambridge University Press.
Carney, R. (Ed.). (2001). Cassavetes on Cassavetes.
New York: Faber & Faber Inc.
Dowd, I. (2006). Ideokinesis:
The 9 lines of movement. Kinetics 1.
Melbourne: Victorian College of the Arts,
University of Melbourne.
Martin, A. (2005). Low-budget cinema:
beware the cliché. Retrieved
April 22, 2007, from

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