Kürzlich veranstaltete der Verband Deutscher Tonmeister (VDT), am SAE Institute in Köln ein dreitägiges Grundlagen- und Praxisseminar zum Thema Audio-Netzwerktechnik, bei dem sich die Teilnehmer ein Bild von den aktuell am Markt verfügbaren Lösungen machen konnten. Die Referenten des Seminars (von links nach rechts): Karl M. Slavik, Andreas Hildebrand, Karsten Schragmann, Matthias Knoth, Arthur Koll und Jürgen Malleck
von Marc Bohn
Audio over Ethernet
Beim Thema Audio-Netzwerktechnik denken die Meisten wohl an Audioübertragung über ein Ethernet-basierendes Netzwerk, das wir beispielsweise aus Büros oder von Zuhause kennen. Über dieses LAN surfen wir im Internet, tauschen Daten aus oder führen Konferenzen. Auf ähnliche Weise sollte es möglich sein, Audiosignale über die Infrastruktur eines Netzwerks an verschiedene Abnehmer zu verteilen. Verlustfrei und latenzarm, redundant und an mehrere Empfänger simultan soll es sein – versteht sich.
In Studiokomplexen und TV-Produktionsstudios wäre eine solche Vernetzung eine möglicherweise kostengünstige und flexible Alternative zu den dort gängigen Übertragungswegen. Das Daten-Routing könnte von Standard-Switches übernommen werden, diese leiten die Audiodaten mit einer genauen Adressierung zum gewünschten Empfänger weiter. Das Netzwerk, in dem womöglich noch andere Daten unterwegs wären, sollte dabei nicht überlastet werden. Soviel zum Wunschgedanken.
Beschäftigt man sich jedoch intensiver mit dem Thema der professionellen Audio-Netzwerktechnik, so wird man schnell feststellen, dass in den meisten Anwendungen eine physikalische Trennung zwischen Office-Netzwerk und Audionetzwerk erforderlich ist. Die Komplexität der Systeme, die dem Nutzer aktuell auf dem Markt zur Verfügung stehen, macht eine umfangreiche und kompetente Planung absolut notwendig. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle, die der Planer vor der Installation eines Audio-Netzwerkes für seinen Anwendungsbereich genau beachten sollte. Dazu gehören unter anderem die Anzahl der Teilnehmer, die zur Verfügung stehende Netzwerk-Bandbreite und die Datenrate der zu übertragenden Audiosignale.
Hinzu kommt, dass es in diesem Bereich eine Vielzahl an Herstellern und eine noch höhere Anzahl an Technologien gibt. Und nicht alle sind kompatibel zueinander oder basieren auf einem genormten Standard. Dadurch sind diese Systeme in der Konnektivität eingeschränkt, bieten jedoch eine bequemere und schnellere Inbetriebnahme und zeichnen sich oftmals durch deutlich geringere Latenzen aus – allerdings sind die Audio-Latenzen von System zu System wiederum unterschiedlich.
Die Erfahrungen der Anwender
Wichtigstes Fazit des Seminars: Ein Ethernet-basiertes Audionetzwerk kann eine ideale Lösung darstellen, es kommt aber auf die Anwendung und ihren Umfang an. Es gibt bereits Tonstudio-Komplexe mit Netzwerk-Installationen, die mehrere Aufnahmeräume und Regien miteinander koppeln. Das größte Problem sind auch hier die Latenzen, die in den verschiedenen Systemen unterschiedlich sind. In der Musikproduktion sind diese jedoch kaum wahrnehmbar und anders zu bewerten, als beispielsweise bei der Produktion einer Live TV-Show. Hier können zu große Verzögerungen in der Signalübertragung katastrophale Folgen haben.
Der Aufwand, der betrieben werden muss um ein Audionetzwerk zu konfigurieren und zu administrieren ist groß und sollte unbedingt von einem Profi durchgeführt werden. Auch die flexible Erweiterung eines bestehenden Netzwerkes durch weitere Komponenten ist leider mit hohem Konfigurationsaufwand verbunden. Deshalb muss man sich bereits während der Planung um die Nutzung, den Umfang und auch über eventuelle Erweiterungen Gedanken machen. Ein statisches Netzwerk, das über eine durchdachte Struktur und eine gut geführte Administration verfügt, kann für die verschiedensten Anwendungen eine ideale und kostengünstige Lösung sein.
Jürgen Malleck, Vertriebsingenieur der Firma DELEC, Mitglied der Geschäftsleitung der SALZBRENNER STAGETEC MEDIAGROUP und Absolvent der SAE in Wien, stellte die Dante-Technologie von Audinate vor: „Unsere Branche befindet sich in einer Umbruchszeit. Wir haben uns deshalb schon früh der Thematik angenommen. Um IP-basierte Audionetzwerke mit großen Kanalzahlen und dementsprechend höheren Übertragungsraten zu entwickeln, die mindestens gleichbleibende Übertragungssicherheit bieten, arbeiten wir eng mit unseren internationalen Kollegen zusammen. Als Pioniere auf diesem Gebiet haben sie schon früh einschlägige Praxiserfahrung in diversen Großprojekten gesammelt. Durch diesen Vorsprung bieten wir unseren Kunden solide Lösungen für diese noch junge Technologie.“
Jürgen Malleck sieht die Zukunft in „Hybridsystemen mit IP-basierten Lösungen aber auch den bewährten, konventionellen Schnittstellen für die Audioübertragung.“
Natürlich beschäftigt Toningenieure auch das Thema Klangqualität. Dazu Arthur Koll, Sales Engineer bei YAMAHA, deren Mischpulte ebenfalls mit Dante arbeiten: „Die Klangqualität in digitalen Systemen ist heute, im Vergleich zu analogen, auf einem sehr hohen Niveau, gerade wenn es um komplexe Systeme bei Großveranstaltungen geht. Wenn man auf der Bühne nur kurze analoge Strecken hat, bis es vom Mikrofon in den Wandler geht, dann ist nach der Wandlung so gut wie kein Qualitätsverlust mehr zu befürchten.“ Dennoch sind auch für ihn die Nutzungsmöglichkeiten von Audionetzwerken derzeit klar eingegrenzt. Koll weiter: “Für mich ist das erst der Anfang, auch hochaufgelöstes Videomaterial drängt in die Netzwerke. Es liegt jetzt an der IT-Branche, uns höhere Bandbreiten zu bieten.“
Durch die Komplexität vieler Audionetzwerke ist deren Planungsaufwand extrem hoch und eine schnelle und dynamische Bedienung ist fast nicht zu realisieren. Es ist schwer vorstellbar, dass beispielsweise der Tontechniker vor einer Live-Show zuerst noch sein Netzwerk aufbauen und administrieren muss, bevor es losgehen kann. Denn eigentlich sollen Audionetzwerke seine Arbeit erleichtern.
Matthias Knoth, Digital Audio Consultant der Firma RIEDEL: „Nach diesen ganzen technischen Details dürfen wir nicht vergessen, um was es wirklich geht: Nämlich darum, dem Tontechniker die Möglichkeit zu geben, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren und die Soundvorstellungen des Künstlers umzusetzen. Die dafür erforderliche Technologie – so sehr sie auch einen derzeit starken Trend bedienen mag – ist letztlich nur ein Werkzeug und steht nicht für sich alleine.“
Die Zukunft von Audio-Netzwerken
Das Entwicklungspotenzial in diesem Bereich ist enorm. Noch können wir nur erahnen, was mit Audionetzwerken irgendwann möglich sein wird. Till Schaarschmidt, Headinstructor Audio am SAE Institute Köln: „Ich bin mir sicher, dass Audio-Netzwerke in Zukunft im Studiobetrieb eine große Rolle spielen werden. Man stelle sich vor, ein Kunde kommt ins Studio und könnte seinen Synthesizer beispielsweise über eine bereits eingebaute Netzwerk-Schnittstelle mit dem gesamten Studio-Routing verbinden. Ohne große Verkabelung und mit einem nur geringen Aufwand wäre das Signal danach an jeder Wallbox sowie jeder Patchbay abgreifbar.“
Eine interessante Vision. Es bleibt jedoch abzuwarten ob wir durch diese Systeme wirklich eine Revolution im Bereich der Signalverteilung erleben werden.
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Über den Autor:
Marc Bohn ist Systeminformatiker und Absolvent der SAE in Köln – Bachelor of Arts (Hons.) Audio Production. Er arbeitet derzeit als Produzent und Audio Engineer für verschiedene Tonstudios und Labels in Köln. Zudem ist er als freier Mitarbeiter für die SALZBRENNER STAGETEC MEDIAGROUP tätig und schreibt als Press Release Assistant dort Reportagen, Fachmagazinartikel und Pressemeldungen.
Bilder: Stefani Renner