Interview geführt von: Jakob Rosemann
Titelfoto: ©Torsten Hilse
Marcus Pohl hat von 1993 bis 1995 die School of Audio Engineering in Frankfurt besucht und dort den Abschluss des Diplom Engineers erworben. Von 1994 bis 2004 war er als Tontechniker und Toningenieur auf Tournee. 2004 gründete er die Production- und Tour-Management-Firma „Artist Alliances“ und wechselte vom Technikfach ins Tourmanagement. Im Jahr 2013 hat er das Unternehmen um den Geschäftszweig „Operational Services“ ergänzt und in 2015 den Verband „ISDV“ ins Leben gerufen. Zu seinen Kunden zählen u.a. Scorpions, Scooter, Guano Apes und Sunrise Avenue. Gründe genug, um dem ehemaligen SAE Absolventen ein paar Fragen zu seinem erfolgreichen Werdegang zu stellen:
Dein Tag scheint mehr als 24 Stunden zu haben. Kommst du überhaupt zum Verschnaufen oder gehört es einfach dazu, viel zu arbeiten und auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen, wenn man in der Musikbranche Fuß fassen will?
Auch mein Tag hat nur 24 Stunden und ich habe mittlerweile verstanden, dass man auf seine Ressourcen sehr achten muss. Wenn die Batterien leer sind, machst Du gar nichts mehr.
Auf mehreren Hochzeiten zu tanzen ist bei mir eher Unternehmergeist. Die Firma soll wachsen und daran muss man permanent arbeiten. Es gibt ständig neue Herausforderungen. Die Musikbranche ist eine Kommunikationsbranche. Mit Menschen umzugehen und das sich stetig drehende Personalkarussel bedingen, dass ich mich immer up to date halten muss, wer gerade was macht und was gerade benötigt wird.
Hast du dich bewusst gegen eine Laufbahn als Audio Engineer entschieden oder wie kam es dazu, dass du dich in Richtung Management entwickelt hast?
Mit dem Tour- und Production-Management habe ich erst 1999 angefangen. Vorher war ich als Tontechniker für Firmen wie Rocksound, Schallwand und Procon unterwegs. 1999 kam ich dann zu Scooter und weil dort kurz danach der Posten des Produktionsleiters frei wurde, habe ich den Sprung ins kalte Wasser gewagt und den Job aus dem Stand übernommen.
Zum Ende der Expo 2000 bekam ich dann das Angebot, als Monitor-Ingenieur für Peter Maffay zu arbeiten. Wieder ein Sprung ins kalte Wasser. Das hatte ich zuvor noch nie gemacht. Wir waren dann bis Ende 2003 zu zweit auf den Tourneen. Die Band wurde quasi aufgeteilt, weil es einfach zu viele Cues waren, die während einer Show umgesetzt werden mussten, als dass ein Ingenieur alleine sie hätte bewältigen können. Wir hatten damals noch keine Digitalpulte. Jeder von uns hatte seinen eigenen Monitorplatz, zu dem beispielsweise ein Midas XL250 nur für Schlagzeugkanäle und ein Midas Heritage 3000 gehörten. Das waren insgesamt 96 analoge Inputs plus Effektreturns. Das war spannend. Der Drill war hoch. Als ich dann Ende 2003 den Auftrag zur Tabaluga-Tour wegen zu schlechter Bezahlung abgelehnt habe, waren alle Folge-Jobs nicht mehr spannend genug. Die Bands waren zu schnell zufrieden, ich fühlte mich nicht mehr gefordert. So habe ich mir dann gesagt: ok, Produktionsleitung ist der interessantere Job. Da geht´s jetzt lang.
Und fortan habe ich daran gearbeitet, in dem Metier Fuß zu fassen. 2004 habe ich mit Jenny, meiner jetzigen Frau, Artist Alliances – Tour- and Production-Management gegründet. Das haben wir dann stetig ausgebaut und weiterentwickelt.
Du bist nun seit über zwanzig Jahren im Bereich des Tour- und Production-Managements tätig, bist seit 2004 Inhaber der Artist Alliances und hast 2013 mit den „Operational Services“ noch einen weiteren Geschäftszweig erschlossen. Zudem hast du den Verein „ISDV“ in 2015 gegründet. Was genau sind die Ziele und Aufgabe dieser drei Unternehmungen?
Artist Alliances ist eine Firma, die alles an Planung und Durchführung von Shows und Tourneen erledigt. Also von „der Künstler geht aus dem Haus“, über „macht eine Welttournee“ bis zu „kommt wieder zu Hause an“. Alles, was dazwischen geplant, organisiert, gebucht, geschaukelt, gefangen und abgehakt werden muss, steht bei uns auf dem Zettel.
Da war dann der Weg zu Operational Services nicht mehr weit. Dieses Department in unserer Firma beschäftigt sich mit allem, was außerhalb einer Tournee passiert. Jeder Techniker, Musiker, Merchandiser, Grafiker, Booker, Promoter, Studiobesitzer, jede Band …. muss seine bzw. ihre Buchhaltung erledigen, sich um Behörden kümmern und vieles mehr. Es müssen Steuern gezahlt werden. Manche sind so viel unterwegs, dass die Post immer liegen bleibt, andere bekommen vor lauter Arbeit ihre Termine nicht auf die Reihe. Wie soll ich Rechnungen schreiben, wenn ich immer unterwegs bin? Also alles, was eine Firma am Laufen hält. Quasi die Schlagader einer Firma. Darum kümmern wir uns mit Operational Services.
Die ISDV (Interessensgemeinschaft der selbständigen DienstleisterInnen in der Veranstaltungswirtschaft e.V.) ist nun etwas ganz anderes und noch dazu ein Ehrenamt. Ich war es leid, dass mir immer wieder Leute auf den Nightlinern die Ohren volljammern, dass sich in unserer Branche doch mal jemand um all die Sachen kümmern müsste, die immer so schlecht sind. Sei es, dass schon wieder ein Auftraggeber Leute ohne Bezahlung nach einer Tournee im Regen stehen lässt oder der Job wieder 19 Stunden lang war und es kein extra Geld gab. Viele Themen.
Also habe ich im Oktober 2014 neun Kollegen aktiviert, von denen dann sieben bei der Verbandsgründung im Dezember 2014 dabei waren. Am 10.02.2015 haben wir die Zulassung als eingetragener Verein bekommen und seitdem gibt es endlich einen Berufsverband für selbständige Dienstleister in der Veranstaltungswirtschaft. Also für alle, die irgendeine Leistung auf eigene Rechnung erbringen und dabei mit Musik, Shows, Touring, Studio im allerweitesten Sinne zu tun haben.
Die Gründung war auch deshalb höchste Zeit, weil es politische Strömungen gibt, die mittelfristig die Art zu arbeiten und zu leben, wie wir sie kennen, bedrohen. Deshalb ist es wichtig, dass wir alle zusammen dagegen angehen. Das Thema ist die Scheinselbständigkeit.
Um dem zu begegnen, muss natürlich erstmal jeder mitbekommen, dass wir da ein Problem haben. Die Branche duckt sich weg und tut so, als wäre das alles gar nicht relevant für sie. Die Öffentlichkeit weiß nichts über uns. Wir leben und arbeiten in einer Subkultur und doch sind wir Teil der drittgrößten Branche Europas. Noch vor den Autobauern und Chemikern.
Dafür steht die ISDV. Wir geben der Branche ein öffentliches Gesicht, eine Stimme, wir arbeiten auf dem politischen Parkett, um unsere Interessen durchzusetzen und nicht zuletzt sind wir für die Branche da. Wir stellen Hilfe bereit, wenn es um die Selbständigkeit geht, wenn Behörden komische Sachen wollen, wenn es Probleme mit Auftraggebern gibt, uvm.
Schaut einfach mal rein unter www.isdv.net und werdet Mitglied. Das ist eine wichtige und gute Sache.
Inwiefern war der Besuch der School of Audio Engineering und der Abschluss des Diplom Engineers hilfreich und wegweisend für deinen erfolgreichen Werdegang?
Das war der Anfang von allem, die Umsetzung meiner Interessen in einem Job. Die SAE hat mir viele Jahre “trial and error” erspart. Natürlich war ich nach dem Abschluss weder der Toningenieur, der jetzt der Welt zeigt, wie das alles geht, noch hat die Welt auf mich gewartet. Ich würde es aber immer wieder so machen. Die SAE gibt Dir in recht kurzer Zeit das Handwerkzeug mit, das Du benötigst, um in Deinem Job gut zu werden. Um dann erfolgreich zu werden, braucht es in erster Linie Dinge, die Dir eine Schule nicht vermitteln kann: Erfahrung, People Skills, eine Vision.
Aus der SAE hat sich auch ein Netzwerk ergeben. Mit Ulli Schiller, meinem damaligen Lehrer und Prüfer, bin ich heute noch im Kontakt. Ab und zu halte ich Seminare an der SAE. Aktuell bereite ich mit Stephan Eisele Seminare an der Frankfurter SAE zum Thema „Wie mache ich mich selbständig“ vor. Die Verbindung zur SAE ist also nie abgerissen.
Verfolgst du die Entwicklung deiner früheren Mitstudenten und weißt du, ob noch weitere Absolventen von 1995 in der Musikbranche Fuß fassen konnten?
Da habe ich nur zu ganz wenigen noch Kontakt. Von zweien weiß ich, dass sie immer noch in der Musikbranche arbeiten. Einer als Produktionsleiter und ein anderer als Recording- und Mixing-engineer für eine Firma, die sich auf Live-Showrecording versteht.
Was würdest du Interessenten raten, die zur SAE oder generell in die Musikbranche wollen?
Mach Dir klar, wo Du hin willst, verfolge Dein Ziel, nimm möglichst viel mit auf dem Weg und habe nie Angst vor dem Sprung ins kalte Wasser. Und denke immer daran: es gibt immer einen, der es besser macht als Du. Die SAE kann der Grundstein Deiner Arbeit sein. Daraus etwas zu machen, ist aber Deine Aufgabe.
Wohin wird sich die Musikbranche in deinen Augen entwickeln und welche neuen Zweige sind in deinen Augen vielversprechend, um in dem Bereich unterzukommen?
Die Digitalisierung wird immer weiter fortschreiten und zum bestimmenden Teil unseres Lebens werden. In den 90ern hat man noch nicht mal Netzwerkkabel auf einer Tournee dabei gehabt. Heute muss ein Netzwerkadministrator für alle Bereiche einer Tournee dabei sein. Audio läuft darüber, Lichtsteuerung, Kinetik, Video, Kommunikation. Ich könnte meinen Job ohne das Internet schon beinahe nicht mehr ausüben. Das letzte Fax habe ich 1998 bekommen. Wenn man auf Tour keinen Internetzugang hat oder auch, wenn der Zugang da ist, aber die Bandbreite schlecht, drehen alle durch. Keiner ist happy, kaum einer kann arbeiten und gar keiner weiß sich zu beschäftigen, wenn Freizeit droht.
Musik wird es aber immer geben. Die Leute werden auch in 100 Jahren noch zu Konzerten gehen, ganz egal, wie digital die Welt um sie herum wird. Der Mensch ist ein Kontakt-Tier und braucht Gesellschaft. Und ein derartiges gemeinschaftliches Erlebnis gibt es in dieser Form nicht in einer virtuellen Welt. Das funktioniert bei Spielen, aber nicht bei Konzerten.
Wer sich also auf Computer versteht und nicht nur Software bedienen kann, der hat das Werkzeug für die Zukunft – in allen Sparten der Branche. Die größte Schwierigkeit ist immer, die Trends und neuen Entwicklungen zu verfolgen und sie schnell aufzunehmen und zu benutzen.
Hast du noch weitere Pläne für die Zukunft, über die du schon sprechen darfst?
Der Generalplan „die Weltherrschaft“ steht ungebrochen.
Auf dem Weg dahin werden sich sicher noch einige weitere Geschäftsideen ergeben. Aktuell sind gerade alle auf die Schiene gesetzt worden und nehmen Fahrt auf. Darum muss ich mich erstmal kümmern, bevor es zu neuen Ufern geht.
Im kommenden Jahr wird meine Frau Jenny Artist Alliances durch die Sparte „Firestarter Coaching“ ergänzen. Jenny ist „Excecutive Business Coach“ und Master of Mediation und bedient mit dieser Sparte die Problemzonen, die es im Leben von Künstlerfamilien, Geschäftsführern, Bands, Touring-Crew, aber auch Industrie-Alltag gibt. Bei ihr lernt man durch ausgewählte Interventionen sein eigenes Leben so zu führen, wie man es sich vorstellt. Dazu gehören z.B. Themen wie Zielfindung, Führungsverantwortung, Selbstreflexion, Persönlichkeitsentwicklung, Stressmanagement und Burn-Out-Prävention.
Uns interessiert nicht, welche Gitarre ein Musiker spielt, sondern dass er damit glücklich, mit sich im reinen und stark genug für die Aufgaben ist, die vor ihm liegen.
Stellst du Praktikanten oder Festangestellte ein? Falls ja: was sollten sie mitbringen?
Seitdem wir Operational Services gestartet haben, haben wir natürlich Festangestellte für den Bereich Buchhaltung in der Firma. Alles andere im Tourneebetrieb machen wir aber mit “iPros” (Independent Professionals). Ich benutze diesen Begriff lieber als “Freelancer”. “Freelancer” ist so abgedroschen. Ich bezeichne mich lieber als “iPro”.
Wenn sich unser Business so weiterentwickelt, kann es aber sehr wohl auf den Plan kommen, dass wir mehr Leute fest anstellen.
Ich werde mich dann auf jeden Fall an die SAE wenden.
Bist du zumindest in deiner Freizeit noch manchmal als Engineer tätig – beispielsweise in einem eigenen Homestudio für befreundete Bands?
Sehr selten. Ich habe immerhin seit zwei Jahren wieder eine Gitarre im Wohnzimmer, auf der ich ab und zu eine Weile zupfe. Engineering ist tatsächlich recht weit weg gerückt. Aber es kribbelt schon in den Fingern, wenn der Sound bei einer Show mal nicht so ist wie ich mir das vorstelle.
Möchtest du unseren Lesern sonst noch etwas Hilfreiches mit auf den Weg geben über die SAE oder die Musikbranche?
Um in der Musikbranche Fuß zu fassen, ist das Erfüllen einiger Kriterien sehr hilfreich in meinen Augen:
1. Man muss sein Handwerk verstehen
- dafür war der Abschluss an der SAE für mich super.
2. Man muss wissen, welche Ziele man hat
- wenn Du nur so in den Tag hineinlebst, wirst Du nie an die wirklich interessanten Jobs herankommen
3. Man sollte People-Skills entwickeln
- lerne Leute einzuschätzen, lese in ihrer Mimik und Gestik, fühle, was Dein Kunde als nächstes brauchen könnte.
4. Man muss sich immer im Klaren sein, dass eine Band sich umdreht und einen stehen lässt, wenn es eine bessere Option zu geben scheint. Also binde Dein Herz nicht zu stark an einen Auftrag.
5. Man sollte nie Angst vor kaltem Wasser haben
In Deutschland wird ein geschäftlicher Misserfolg meist negativ betrachtet. Man muss ein Gewinner sein. Ich sehe das aber wie Henry Ford:
„Ein Misserfolg ist lediglich die Möglichkeit, schlauer von Neuem zu beginnen.“
Vielen Dank für deine Bereitschaft, bei unserem Portrait mitzuwirken, es sind sehr spannende Antworten dabei herausgekommen. Wir wünschen dir für die Zukunft alles Gute und natürlich weiterhin viel Erfolg und Spaß im Tour- und Production-Management!
Weitere Infos und Links zu Marcus Pohl, den Artist Alliances und der ISDV:
http://www.artistalliances.com
http://www.facebook.com/artistalliances