Hingehört! – Die Richtlinie R128 verstehen und anwenden

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Mit der Richtlinie R128 sollte den Fernsehzuschauern und Toningenieuren ein Lächeln ins Gesicht gezaubert werden. So stellt das R 128-Logo ein lachendes Gesicht dar, welches aus den Zahlen der Empfehlung zusammengesetzt wurde.

Text und Abb: Lilo Soto

Seit knapp einem Jahr gibt es für Toningenieure eine Messmethode auf die sie schon lange gewartet haben. Sie können nach Gehör mischen und müssen die Pegel auf dem Peak Programm Meter nicht mehr permanent überwachen, um dem vorherrschenden Lautheitswettbewerb gerecht zu werden. Obwohl seit September 2012 die Programme nach der EBU (European Broadcasting Union) Richtlinie R128 ausgesteuert werden, sind immer noch Defizite in der Praxis zu finden. Daher bedarf es weiterhin an Aufklärung im Umgang mit der Empfehlung.

Was und wie wird gemessen?

Zwei neue Messmethoden wurden von der ITU (International Telecommunication Union) im EBU Dokument aufgenommen. Zum einen der Algorithmus zum objektiven Messen einer subjektiven Größe – der Lautheit oder Loudness – und zum anderen eine neue Methode zum Messen des Spitzenpegels (True Peak Measurement). Für die Definition der Lautheit wurden zwei neue Einheiten im R128 Dokument implementiert. LU steht für Loudness Unit und ist die relative Einheit, die während des Aussteuerns den Unterschied von Absenkung und Verstärkung anzeigt, dabei entspricht 1 LU = 1 dB. Die absolute Messeinheit wird LUFS abgekürzt und steht für Loudness Unit Full Scale. Sie bezieht sich auf die digitale Vollaussteuerung und beträgt gemäß Empfehlung maximal -1 dBTP (Dezibel True Peak). Die Messergebnisse werden mit einer Stelle nach dem Komma in LU oder LUFS angegeben.

Mit Hilfe des entworfenen Algorithmus lassen sich die drei Lautheitszeiten in LUFS bestimmen. Diese müssen laut EBU–Mode gemessen werden: M steht für die momentane Lautheit im Zeitfenster von 400 Millisekunden ungated, S steht für die kurzfristige Lautheit im Zeitfenster von drei Sekunden ungated und des Weiteren wird die integrierte Lautheit (Programm Loudness) eines kompletten Programmteils nach der Gate–Methode der ITU– R BS.1770-3 gemessen.

R 128 Logo

R 128 Logo

Die Gate-Methode dient dazu, dass Signale, die keine Nutzsignale sind, wie beispielsweise Saalgeräusche, das Brummen einer Klimaanlage oder Publikumslärm, von der Messung nicht berücksichtigt werden. Die Gesamtlautheit eines Programms muss den Wert -23.0 LUFS erreichen. Gerade bei Live–Übertragungen kann der zu erreichende Zielwert nicht immer eingehalten werden. Für diesen Fall ist eine Abweichung des Zielwertes um ± 1.0 LU tolerierbar.

Die neue Messmethode zur Bestimmung des wahren Spitzenpegels basiert auf einer vierfachen Überabtastung des Audiomaterials. Diese gibt detaillierte Auskunft über die tatsächlich enthaltenen Spitzenwerte und schließt bei der Digitalisierung Inter-Sampling Peaks aus.

Zusätzlich ist im R128 Dokument die Loudness Range, die innerhalb eines abgeschlossenen Programmteils die statistische Distribution der Lautheitspegel berechnet und in LU angegeben wird, definiert. Der Lautheitsbereich wird durch die Bildung der Differenzsumme zwischen dem 10ten und 95ten Prozentteil bewertet. Unter 10 Prozent liegen die Rauschanteile und nicht relevanten Geräusche und über 95 Prozent treten einzelne akustische laute Schallereignisse auf. Damit werden alleinstehende Extremwerte, wie beispielsweise ein Pistolenschuss nicht berücksichtigt und trägt bei der Berechnung nicht zu einem manipulierenden Ergebnis bei.

Die Messgeräte

Im Allgemeinen werden Lautheitsmessgeräte in interne oder externe Instrumente eingeteilt. Wenn sie nach R128 im EBU–Mode messen, sind sie alle gleich und unterscheiden sich nur in den anzuzeigenden Parametern. Das Unternehmen Lawo stellt beispielsweise in seiner Mischpult Serie Lawo mc2 66 MK2 eine integrierten Messeinheit für den User bereit. Seit 2011 steht ein Update für die Loudness-Messung zur Verfügung.

In der Postproduktion stehen von mehreren  Anbietern Software-Tools bereit, die den fertigen Beitrag analysieren und gegebenenfalls an die Zielwerte für True Peak Level, Programm Loudness und Loudness Range anpassen.

ein externes Messinstrument der Firma TC Electronics, welches bei dem Unternehmen Studio Berlin Adlershof in der Regie im Einsatz ist. Alle relevanten Parameter lassen sich auf einen Blick erkennen.

ein externes Messinstrument der Firma TC Electronics, welches bei dem Unternehmen Studio Berlin Adlershof in der Regie im Einsatz ist. Alle relevanten Parameter lassen sich auf einen Blick erkennen.

Die Abhörlautstärke

Um nach R128 auszusteuern ist die Abhörlautstärke entscheidend. Dabei ist zu bedenken, dass das menschliche Gehör differierende Frequenzen unterschiedlich laut wahrnimmt. Bei 80 Phon nimmt der Mensch das Audiosignal im Frequenzgang linear wahr und bewertet die akustischen Signale transparent. Dieser Wert ergibt sich aus den Kurven gleicher Lautstärken nach dem Hörversuch aus dem Jahr 1933 von Fletcher und Munson.

 

Um die Lautstärke der Abhöreinheit festzulegen, wird beispielsweise für eine Unterhaltungsshow vorher ein Kollege/Tonassistent gebeten sich selbst mit einem Mikrofon zu verkabeln und dieses anzusprechen. Dieses Signal wird ohne es hörbar zu machen auf -23 LUFS am Eingang verstärkt. Anschließend spricht der Kollege weiter in sein Mikrofon damit die Abhörlautstärke individuell für den Toningenieur angepasst werden kann. Dieser eingestellte Wert sollte während des Mischens nicht mehr verändert werden, um Lautheitsschwankungen innerhalb des Programms zu vermeiden. Wenn die Mischung sich zu leise entwickelt, kann durch Dämpfen der Abhörlautstärke die Sendung lauter gefahren werden und es erhöht sich somit die Gesamtlautheit.

Einpegeln von Signalen

Die zu bearbeitenden Signale werden in Kategorien von vordergründigen Einzelquellen wie Sprache, Musik oder MAZ-Beiträge gegenüber Hintergrundgeräuschen wie Atmos unterteilt. Wesentliche Signale werden gleich am Eingang auf -23 LUFS verstärkt, da sie zu geringen Anteilen in der Mischung miteinander summiert werden. AtmosphärenSounds werden nicht auf -23 LUFS gesetzt, da sie von der Lautheit her einen zu großen Anteil am Gesamtpegel besäßen. Beispielsweise würde Applaus im Mischbild als ein vordergründiges Geräusch erscheinen und entspräche nicht der Realität und könnte zu Irritationen beim Zuschauer führen.

Ob Live-Übertragung oder Aufzeichnung: der Toningenieur sollte sich im Vorfeld auf die vorkommenden Signale einstellen und ein Tonkonzept erstellen. Eine Stellprobe mit Ansprechen der Mikrofone, Prüfen der MAZ-Beiträge und dem Zuspielen der Musiken ist daher zwingend erforderlich.

Mischen nach R128

Das Ziel von R128 ist, dem Programm wieder mehr Dynamik zu verleihen und vor allem Lautheitssprünge zwischen den einzelnen Sendeanstalten zu vermeiden. Seit der Einführung der EBU Empfehlung ist es wieder möglich kreativ zu arbeiten, statt permanent die elektrische Messung des Signals überwachen zu müssen. Werden die wesentlichen Audiosignale gleich auf den geforderten Zielwert von -23 LUFS gesetzt, kann der Toningenieur sich ausschließlich auf seinen Höreindruck verlassen.

Mit der Richtlinie ist gewährleistet, dass laute Passagen laut klingen und ruhige Momente auch als solche erkennbar bleiben. Jedoch ist der Mixer angehalten ein homogenes Mischbild zu schaffen, sodass der Zuschauer zu Hause nicht manuell mit der Fernbedienung die Lautstärke selbst steuern muss.

Dabei ist der Sendungsstart und damit der Übergang des vorher gesendeten Programms zum Aktuellen mit einer besonders hohen Priorität zu handhaben. Es gilt dabei Lautheitssprünge zu vermeiden und den Wechsel von einer Sendung zur nächsten für den Zuschauer harmonisch klingen zu lassen. Die Schwierigkeit beim Sendungsstart besteht darin, dass viele Einzelquellen, wie Musik, Off-Sprecher und hintergründige Quellen wie tosender Applaus, übereinanderliegen und summiert werden. Dabei kann es vorkommen, dass die durchschnittliche Gesamtlautheit den Wert -17 LUFS erreicht. Jedoch gleicht sich dieser Wert im Verlauf der Sendung aus, wenn reine Sprachanteile und Maz-Beiträge gesendet werden.

Sprachsignale an den Zielwert -23 LUFS anzunähern stellt die größte Herausforderung dar. Da sie sich schnell verändern, gehören sie zu den dynamischsten Quellen für Toningenieure. Leise, normale oder laute Konversationen sollen durch ihre Lautstärke zu erkennen sein und nicht durch starke Kompression als gleichlaut empfunden werden. Die Herausforderung liegt bei der Einstellung der Dynamikeffekte gemäß des Genres, sodass Signale nicht zu stark komprimiert werden. Die ersten Erfahrungen haben gezeigt, dass sich die Einstellungen nicht wesentlich verändert haben.

Anhand der Information der durchschnittlichen Gesamtlautheit während des Mischprozesses, kann der Toningenieur prüfen, ob sich die Sendung in die gewünschte Richtung entwickelt. Wichtig ist, dass die Mischung in sich homogen ist, auch wenn dadurch eine Programm Loudness von beispielsweise -25 LUFS erreicht wird. Bei einer Aufzeichnung besteht die Möglichkeit die Gesamtlautheit anzuheben, um sich dem Zielwert -23 LUFS anzunähern.

Wenn noch keine Erfahrungen im Mixen nach R128 vorliegen, empfiehlt es sich, den Mix zu Beginn vorsichtig in der Lautheit zu steigern. Das Gegensteuern bei einer zu lauten Sendung ist in der Regel wesentlich komplizierter. Diese Herangehensweise wirkt sich ebenfalls natürlicher auf die Audio-Dramaturgie von Fernsehprogrammen aus. Um nach R128 zu mischen ist vor allem das Verhältnis zwischen den einzelnen Signalen in der Gestaltung von Bedeutung.

Diese Verhältnisse können erst zur Mischung erstellt werden und ergeben sich aus dieser heraus. Toningenieure, die schon immer nach Gehör gemischt haben, fällt es leichter, sich auf diese Empfehlung einzustellen. Für Berufseinsteiger ist das Sammeln von Erfahrungen entscheidend, denn erst mit zunehmender Erfahrung können Signale besser bewertet und ein homogenes Mischbild erreicht werden.

Lautheit/Loudness – Ist eine psychoakustische Größe, die die subjektive Lautstärkeintensität zwischen unterschiedlichen Lautstärken bestimmt und mit der Kenngröße Sone angegeben wird. Daher ist der Begriff Loudness technisch gesehen eher als Lautstärke und nicht als Lautheit zu übersetzen. Doch in der Medienbranche hat sich Lautheit als Fachbegriff durchgesetzt und wird für die EBU Richtlinie R128 verwendet.

Inter Sampling Peaks – Bei digitalen Systemen wird der Pegel nach dem Peak Sample Verfahren gemessen. Diese Methode ist jedoch zur Spitzenwertmessung nicht geeignet, da sich mitten in den bei der Digitalisierung entnommenen Proben einzelne Spitzen zwischen den Maxima befinden können. Das kann zur Verzerrung des Audiomaterials führen.

Lilo Soto

Lilo Soto

Lilo Soto – Seit 2006, nach Beendigung der Ausbildung zur Mediengestalterin für Bild und Ton,  als Tontechnikerin im Broadcast Bereich beiStudio Berlin Adlershof tätig. Im März 2013 erfolgreicher Abschluss des SAE Diplomas Audio Engineering. Erste Erfahrungen mit der Richtlinie R128 während der Fußballeuropameisterschaft 2012 in Danzig als Toningenieurin gesammelt.

Literaturquellen: [Camerer, Florian: EBU Webinar Part 1, http://tech.ebu.ch/events/webinar_loudness1/cache/off?id=13224. Abgerufen am 21.06.2013]

[European Broadcasting Union: EBU Recommandation R128, Loudness normalisation and permitted maximum level of audio signals. 1.Auflage: Genf, 08/2011]

[European Broadcasting Union: EBU Tech. 3341, Loudness Metering: ‘EBU Mode’ metering to supplement loudness normalisation in accordance with EBU R128. 1. Auflage: Genf, 08/2011]

[Friesecke, Andreas: Die Audio Enzyklopädie. 1 Auflage. K.G. Saur Verlag: München, 2008]

[Herrmuth, Uwe. Toningenieur bei Studio Berlin Adlershof GmbH]

[International Telecommunication Union: Recommandation ITU-R BS.1770-3, Algorithms to measure audio programme loudness and true – peak audio level. 3.Auflage: Genf, 08/2012]

[Kundt, Felix. Toningenieur bei Studio Berlin Adlershof GmbH]

[Lawo: Loudness Metering. http://www.lawo.de/de/produkte/mischpulte/loudness-metering.html.]

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1 Comment

  1. Georgios Mavridis on

    sehr guter Ansatz in die R128 Welt. Hat mir sehr geholfen. Ich konnte direkt loslegen. Zwar habe i ch immer schon mit dem Gehör gemischt. Jedoch haben mir die Eckdaten für eine Broadcast-Mischung in diesem Bericht, einen direkten Weg der Richtigkeit hingewiesen 🙂 Danke für den Post.

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